Eigennamen und feststehende Begriffe

Eigennamen und feststehende Begriffe werden großgeschrieben. Das ist eine Regel, die man schon sehr früh in seiner Schulzeit versteht. Trotzdem bleiben diese Wörter über lange Zeit ein Problem. Der Grund dafür ist nicht unsere Unfähigkeit, eine Regel auf konkrete Fälle anzuwenden. Vielmehr besteht das Problem bei der Großschreibung von Eigennamen und feststehenden Begriffen eher darin, dass sich unser Wissen ständig erweitert. Wir lernen im Verlauf unserer Schulzeit eine Menge von Fachwörtern und anderen Bezeichnungen wichtiger Dinge und Ereignisse kennen. Und nicht selten führt gerade dieser Zuwachs an Wissen dazu, dass wir immer häufiger auf Bezeichnungen treffen, bei denen wir nicht sicher sind, ob es sich dabei um eine Bezeichnung für etwas handelt, das so einmalig ist, dass es nur einen großgeschriebenen Eigennamen erhalten darf.

Der Geschichtslehrer redet z.B. über das „Dritte Reich“ mit derselben Attitüde wie der Biologielehrer über das „endoplasmatische Retikulum“. Kommt dann noch die „zweite Lautverschiebung“ hinzu oder der „kategorische Imperativ“, das „lyrische Ich“ oder die „phlegräischen Felder“, dann beginnt so mancher die Orientierung zu verlieren. Alle Begriffe klingen so wichtig und einmalig, sie alle nehmen im Unterricht einen so breiten Raum ein, dass jeder von ihnen den Eindruck hinterlässt, etwas ganz Einmaliges zu bezeichnen. Aber was davon ist eigentlich ein Eigenname, was ein Wort mit einem zwar häufigen, aber eben nicht feststehenden Adjektiv? Die folgenden Ausführungen werden unter Garantie nichts Abschließendes bieten, aber vielleicht ein wenig Orientierung im Schall und Rauch großer Namen und Bezeichnungen.

Eigennamen und ein schiefer Turm

Eigennamen sind in ihrer Schreibung noch der simplere Fall. Ein Name ist mit einem Individuum so untrennbar verbunden, dass selbst ein Thomas Müller Anm. 1 sich nur schwer feststellen könnte, einen anderen Namen zu tragen. Und bei jedem erdenklichen Namen wissen wir, dass er wahrscheinlich zu jemandem gehört. Den meisten Namen merken wir an, dass es sich bei ihnen um einen Namen handelt. Und jeder von uns kennt mehr davon, als er ahnt. Daher ist dieser Fall von Großschreibung derjenige Fall, bei dem höchstwahrscheinlich die wenigsten Fehler gemacht werden.

Schwieriger wird es, wenn man bedenkt, dass auch Orte und Objekte einen Namen haben können. Und das ist dann der Augenblick, an dem man sich einen wichtigen Unterschied klarmachen sollte: den wesentlichen Unterschied zwischen Name und Bezeichnung. Wenn wir etwas bezeichnen, dann ordnen wir es in der Regel einer Klasse oder Kategorie von Dingen zu. Dabei gehen wir immer von einer Grundannahme aus, die bei einer jeden Bezeichnung erfüllt sein muss: Es muss von dem bezeichneten Gegenstand immer mehrere mögliche Gegenstände geben. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, so meinen wir trotzdem immer die Möglichkeit mehrerer Gegenstände derselben Sorte mit. Hierzu ein Beispiel:

Stelle dir vor, du gehst in der italienischen Stadt Pisa spazieren und siehst einen Turm, von dem du noch nie in deinem Leben gehört hast. Du bemerkst, dass dieser Turm nicht gerade steht und denkst dir, dass der jeden Augenblick umfällt. Hinterher stellst du dir vielleicht sogar die Frage, ob es auf der Welt noch mehr von solch schiefen Türmen gibt. Und vielleicht gibst du dir sogar selbst die Antwort, dass das nicht sein kann. Niemand würde auf die Idee kommen und einen schiefen Turm bauen. Du würdest dir vielleicht sogar sagen, dass es bestimmt nur in Pisa den Fall gegeben hat, dass man aus Versehen einen schiefen Turm gebaut hat. Stelle dir ferner vor, jeder Mensch würde so über diesen Turm denken. Es wäre immer nur ein schiefer Turm in Pisa.

Nun ist es aber tatsächlich anders. Jeder Mensch, nur du nicht, weiß, dass dieser Turm weltbekannt und einmalig ist und dass er darum sogar nicht nur eine Bezeichnung hat, sondern einen Namen. Es ist nicht irgendein schiefer Turm, sondern es ist der Schiefe Turm von Pisa.

Eigennamen

Nach dem eben erzählten Beispiel dürfte klar sein, worum es geht: Sobald man eine Sache nicht bezeichnet, weil es mehrere Sachen dieser Art gibt, sondern deren Einzigartigkeit benennen möchte, verwendet man dafür einen Namen. Bei diesem Namen ändert sich in der Großschreibung etwas Wichtiges. Außer Artikel und Präpositionen, die auch gelegentlich zu Eigennamen gehören, schreibt man alle anderen Bestandteile des Namens groß. Solange es also im Mittelalter vielleicht mal möglich war, einem Ritter zu begegnen, der kein Geld hatte, also arm war, ist das heute nicht mehr so einfach. Abgesehen davon, dass es keine echten Ritter mehr gibt, gilt der Arme Ritter inzwischen als so einmalig und lecker, dass fast jeder Mensch weiß, worum es sich dabei handelt. Dasselbe gilt für den Kalten Hund, den Sanften Engel oder den Falschen Hasen. So verhält es sich mit dem Schiefen Turm von Pisa, dem Toten Meer, dem Stillen Ozean oder dem Großen Wagen. Und so verhält es sich auch mit dem Kalten Krieg, dem Heiligen Abend, den Vereinigten Staaten von Amerika und sogar der Schwarzen Witwe.

Grenzfälle

Die Großschreibung von Eigennamen könnte Spaß machen, wenn da nicht die bisweilen komplizierten Einschränkungen wären, über die man nachdenken muss. Und auch hier - das sei vorab erwähnt - ist es hilfreich, wenn man sich den Unterschied zwischen Namen und Bezeichnung verdeutlicht.

Wenn geografische Namen im Spiel sind, dann kann es schon mal schwierig werden. So ist Berlin zweifelsohne der Name einer Stadt, ebenso Hamburg oder Frankfurt. Nun gibt es viele Ableitungen von geografischen Bezeichnungen. Aus Hamburg kann Hamburger werden. Und mit dieser Ableitung wiederum kann man eine Menge an Wortverbindungen konstruieren, die man offensichtlich für so einzigartig hält, dass man auch diese Wortverbindungen großschreiben muss. Und so schreibt man die Hamburger Bürgerschaft ebenso groß wie das Frankfurter Würstchen oder die Berliner Mauer. Ohne dass man aber jemandem damit zu nahe treten würde, könnte man behaupten, dass die Bürger einer Stadt nicht so einzigartig sind. In Hamburg leben immerhin ca. 1,8 Millionen davon. Trotzdem würde man auch die Hamburger Bürger, die Berliner Schwaben oder die Frankfurter Finanzbranche großschreiben. Mit diesem Grenzfall ist es aber noch nicht genug. Während man Ableitungen geografischer Bezeichnungen, die auf -er enden großschreibt, muss man sich bei Ableitungen, die auf -isch enden, Gedanken darüber machen, wann sie Teil eines Eigennamens sind und wann sie etwas lediglich bezeichnen.

So sind das bayrische Bier, der indische Tee oder das amerikanische Waffenrecht zwar bekannt, aber eben nur Bezeichnungen einer bestimmten Klasse von Dingen. Anders verhält es sich wiederum mit dem Bayrischen Wald, dem Indischen Ozean oder dem Westfälischen Frieden. Hier haben wir es mit dem selteneren, aber immerhin existenten Fall von Eigennamen zu tun, die mit einem Adjektiv daherkommen, das von einem geografischen Namen auf -isch abgeleitet wurde.

Mehr Grenzfälle

Wenn an dieser Stelle der Eindruck entsteht, dass man die Sache wirklich kompliziert machen kann, dann ist das ein zutreffender Eindruck. Es gibt eine ganze Reihe von speziellen Fällen, die dem willigen Groß- und Kleinschreiber das Leben wirklich schwermachen können. Immer aber - und das wird auch hier betont - sollte man dabei im Sinn haben, dass die Unterscheidung zwischen Bezeichnung und Name essentiell und sehr hilfreich ist.

Man stelle sich einmal die folgende Situation vor: Man ist ein berühmter Mathematiker, trägt den Namen Thomas Müller und erforscht gerade die Logik. Plötzlich entdeckt man neue und bis jetzt unbekannte Gesetze des Denkens und Schließens. Man veröffentlicht diese Gesetze in einem Buch und wird berühmt. Die Logik, die man entdeckt hat, wird zweifelsohne von nun ab den eigenen Namen tragen. Man wird sie als die müllersche Logik bezeichnen. Dabei ist bezeichnen das treffende Verb. Es ist nämlich tatsächlich so, dass es eine ganze Reihe von Logiken gibt. Die müllersche ist nur eine davon und bezeichnet eine bestimmte Logik aus der Klasse der Logiken. Und weil das so ist, wird das Adjektiv müllersche kleingeschrieben. Nun gibt es aber auch den Fall, dass das Wort mit einem Apostroph geschrieben wird, weil man besonders den Namen dessen betonen möchte, von dem diese Logik stammt. Dann spricht man plötzlich nicht mehr von der müllerschen, sondern von der Müller'schen Logik und schreibt sie groß. Dasselbe gilt dann auch für die zu dieser Logik in Konkurrenz stehende Kant'sche Logik. Dasselbe gilt aber auch für die Darwin'sche Evolutionstheorie oder die Kleist'sche Interpunktion; aber nur, wenn der Name des jeweiligen Urhebers vor dem Apostroph ganz erscheint und sich nicht verändert. Die Aristotel'sche Logik gibt es also nicht, weil dieser Mensch mit ganzem Namen Aristoteles heißt.

Letzte Grenzfälle

Eine ganz andere Kategorie von Grenzfällen sei hier noch erwähnt. Und auch für diese gilt wieder, dass es letzten Endes immer auf die Fähigkeit ankommt, Bezeichnung und Name zu unterscheiden. Doch leider besteht eben diese letzte Klasse von Problemen bei der Großschreibung von Eigennamen genau in diesem Vermögen, das bisweilen einfach von unserem Fachwissen abhängig ist. Was nützt es uns, wenn wir begriffen haben, dass es auf die Unterscheidung von Bezeichnung und Namen ankommt, wenn unser Wissen um die Sache noch so begrenzt ist, dass wir gar nicht beurteilen können, ob etwas eine Bezeichnung für einen Sonderfall einer Klasse ist oder tatsächlich ein Name?

Hierzu ein paar Beispiele, die illustrieren, wie man sich dieses Wissen verschafft oder zumindest in die Lage kommt, die richtigen Fragen stellen zu können:

So kommt es z.B. häufig vor, dass von vielen Schülern höherer Lehranstalten die Bezeichnung für das lyrische Ich großgeschrieben wird; also als das „Lyrische Ich“. Die Überlegung, die einen Menschen zu dem Entschluss bringen kann, ist gar nicht so schlecht. Wer das lyrische Ich großschreiben möchte, stellt mitunter die folgende Überlegung an: Das lyrische Ich scheint eine feststehende Bezeichnung für etwas zu sein, dass es im Bereich der Lyrik-Interpretation nur einmal gibt. Es ist quasi ein Eigenname oder mindestens ein feststehender Begriff. Ich sollte es also lieber großschreiben.

Es verhält sich mit dem lyrischen Ich aber leider anders. Es ist zwar schwer auszumachen, ob es außer dem lyrischen Ich noch ein anderes Ich gibt, aber es wäre in jedem Fall denkbar, auch von einem narrativen Ich oder von einem sachlichen Ich zu sprechen. In jedem Fall zeichnet sich das lyrische Ich dadurch aus, dass es sich um ein Ich handelt, dem wir in bestimmten Zusammenhängen begegnen und in anderen nicht, in denen man vielleicht andere Ichs erwarten könnte.

Möchte man seinen Lehrer in solchen Momenten des Zweifels in Bedrängnis bringen, kann man ihm die folgende Frage stellen: Herr bzw. Frau X, gibt es eigentlich ein Ich, das sich vom lyrischen Ich unterscheidet? Die Frage wird garantiert als intelligent empfunden. Immerhin hängt von der Antwort auf diese Frage ab, ob das lyrische groß- oder kleingeschrieben wird.

Ein weiteres Beispiel zur Verdeutlichung und begrifflich wesentlich einfacher ist der kategorische Imperativ. Solltest du diesen nicht kennen, macht das nichts. Du kannst das Beispiel dennoch verstehen! Gerne wird dieser einmal großgeschrieben. Der Grund ist der nämliche. Die betreffende Person geht einfach davon aus, dass es sich um einen feststehenden Begriff handelt, also um einen mit dem Charakter eines Namens. Aber auch bei diesem Fall könnte Fachwissen weiterhelfen. Das muss kein umfassendes Wissen der Kant'schen Ethik sein. Es reicht, wenn man eine Antwort auf die Frage findet, ob es außer einem kategorischen Imperativ noch einen anderen Imperativ gibt. Jeder Philosoph wird diese Frage bejahen und sagen, dass es daneben noch den hypothetischen Imperativ gibt. Sobald man dies weiß, weiß man, dass es sich hierbei nicht mehr um einen Namen für etwas Einmaliges handelt, sondern um einen Begriff, mit dem man etwas unterscheidet, was soviel heißt wie: bezeichnet.

Feststehende Begriffe

Nun haben wir schon ein paarmal die Formulierung „feststehender Begriff“ verwendet, aber noch gar nicht richtig geklärt, worum es dabei eigentlich geht. Dieser Begriff ist nicht ganz unkompliziert, weil er eine sehr hohe Nähe zu den bereits hinlänglich beschriebenen Eigennamen hat. Außerdem vereint dieser Begriff Eigenschaften von Namen und Eigenschaften von Begriffen in sich. Mit dem Begriff haben feststehende Begriffe gemein, dass es von ihnen mehrere Exemplare gibt. Es geht also bei feststehenden Begriffen nicht um einzelne Exemplare des so Bezeichneten, sondern um eine Gegenstandsklasse. Trotzdem aber sind feststehende Begriffe aus der Notwendigkeit heraus entstanden, sich von einer Bezeichnung einer Klasse von Gegenständen abzusetzen.

Hääääh...‽

Betrachten wir ein geeignetes Beispiel: In jedem größeren Betrieb gibt es eine Tafel mit den neuesten und für alle Angestellten relevanten Informationen und Neuigkeiten. Diese Tafel ist auf keinen Fall etwas, das man nur als „schwarzes Brett“ bezeichnen darf! Ein schwarzes Brett ist etwas, das man im Baumarkt kauft, wenn man ein schwarzes Regal besitzt, bei dem gerade ein Regalboden durchgebrochen ist und man einen entsprechenden Ersatz benötigt. Bei dieser Tafel geht es um etwas, dass sie von dieser Art Gegenstand absetzt und das jeder kennt und verwendet. Es handelt sich darum um einen feststehenden Begriff und wird als das „Schwarze Brett“ bezeichnet. Diese feststehenden Begriffe erkennt man oft an zwei Merkmalen: 1. Sie bezeichnen nicht exakt das, worum es geht. Ein Schwarzes Brett muss nicht unbedingt schwarz sein und es handelt sich auch nicht immer um ein Brett dabei. 2. Es wird häufig nicht mit einem unbestimmten Artikel bezeichnet, sondern mit dem bestimmten.

Anmerkungen

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